Giftige Wolken über dem Rhein

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Der Zeuge aus der Nacht

Lena rannte. Ihr Fahrrad lag noch oben auf dem Damm, doch an den Männern vorbeizukommen war unmöglich. Stattdessen schlug sie einen schmalen Pfad ein, der zwischen rostigen Lagerhallen zum alten Hafen führte. Das Herz hämmerte ihr in den Ohren, während ihre Schritte auf dem Beton hallten.

Hinter einer Ecke blieb sie stehen, keuchend. Ein Scharren ertönte aus der Dunkelheit.
„Keine Angst, Fräulein“, sagte eine heisere Stimme. „Ich bin nicht von denen.“

Aus dem Schatten trat ein Mann mit zerzaustem grauem Haar, in abgetragenem Mantel. Er roch nach kaltem Rauch und Motoröl.
„Wer… wer sind Sie?“
„Schenk. Früher Chemietechniker bei RheinChem. Heute… naja, nennen wir’s inoffizieller Ruhestand.“ Er lachte kurz, ohne Freude.

Lena zögerte. „Sie wissen etwas über X-47?“
Schenk nickte langsam. „Mehr, als mir lieb ist. Der Stoff ist ein Abfallprodukt aus einem Produktionszweig, der auf Hochleistung läuft. Normalerweise wird er in einer Neutralisationsanlage unschädlich gemacht – aber diese Anlage ist seit Monaten außer Betrieb.“

„Und stattdessen?“
„Stattdessen kippen sie das Zeug in den Rhein. Offiziell natürlich als ‚Wartungsvorgang‘ getarnt.“

Lena spürte, wie ihr die Kälte die Arme hochkroch. „Warum erzählen Sie mir das?“
„Weil Sie die Einzige sind, die nicht in diesem Schweigen gefangen ist. Ich… habe damals schon versucht, Alarm zu schlagen. Das endete mit Drohbriefen und einem Brand in meiner Garage.“

Er zog ein kleines, zerknittertes Notizbuch aus seiner Manteltasche. „Hier sind Daten, Probenwerte, alles, was ich gesammelt habe. Wenn Sie mutig genug sind, bringen Sie das an die Öffentlichkeit. Aber seien Sie gewarnt, Fräulein Müller: Die werden nicht zögern, Ihnen Angst zu machen.“

Ein fernes Motorengeräusch ließ beide aufhorchen. Scheinwerferlicht flackerte zwischen den Hallen.
Schenk drückte ihr das Notizbuch in die Hand. „Gehen Sie jetzt. Und passen Sie auf, wer hinter Ihnen läuft.“