Die Dritte Generation

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Ein Tag im Paradies

Die Sonne fiel wie warme Milch in den Innenhof. Minka lag ausgestreckt auf der Fensterbank der alten Felllosen, eingerahmt von Basilikumtopf und Gardine. Das Holz unter ihrem Bauch war warm, und durch die Scheibe hörte sie das gleichmäßige Klirren von Geschirr. Für Minka war das der Inbegriff von Sicherheit: Wärme, vertraute Geräusche, und gleich würde es vielleicht ein Leckerli geben.

„Hört ihr das?“ rief Luna von der Mauer, ehe sie mit einem eleganten Sprung in den Hof segelte. Sie war die Jüngste der kleinen Hofgemeinschaft, ein Wirbelwind mit glänzendem Fell. Zuhause bei einer Felllosenfamilie mit Kindern bekam sie zwar Aufmerksamkeit im Übermaß, aber auch Unruhe. Deshalb streifte sie fast täglich hierher. „Die Felllosen schieben wieder ihre rollenden Futterkisten über das Pflaster!“

„Einkaufswagen,“ korrigierte Rufus, der massige Rotbraune, der seit zwei Wintern bei einer Familie lebte. Früher war er Straßenkater gewesen – und erinnerte die anderen gern daran. „Und man sollte Abstand halten. Die Dinger fahren dir schneller über den Schwanz, als du denkst.“

„Warum sollte ich da überhaupt hin?“ fragte Luna unschuldig.

„Weil Neugier ein Muskel ist,“ gähnte Rufus, „und deiner ist übertrainiert.“

Ein kehliges Räuspern kam vom Dachfirst. Schröder lag dort, der alte Hofkater, grauschwarz, Narben an den Ohren, Bewegungen noch immer geschmeidig. Sein Revier waren die Dächer, die Regenrinnen und Schornsteine, von wo aus er jeden Winkel sah. „Leiser, ihr Kätzchen. Minka meditiert.“

„Ich schnurre,“ murmelte Minka.

„Meditatives Schnurren,“ korrigierte Schröder würdevoll.

Die Tür der Wohnung ging auf, und die alte Felllose trat in den Hof. Sie trug einen Korb Wäsche, lächelte, als sie Minka sah, und legte beiläufig ein Leckerli auf die Fensterbank. Minka schnappte es, so elegant wie eine Königin, die ein Geschenk annimmt, und dachte: Ordnung gesichert. Versorgung läuft. Die Felllosen verstanden nicht, dass dies eine Pflicht war – ein Ritual, das sie den Katzen schuldeten.

Die Frau breitete ihre Wäsche auf der Leine aus, murmelte etwas, und verschwand wieder drinnen. Die Tür fiel ins Schloss, die Geräusche im Haus kehrten zurück zum gewohnten Rhythmus.

„Sieh an,“ brummte Rufus. „Unsere Schüsselfüllerin ist in Form.“

„Meine Felllosen jagen mich ständig mit Federstäben durch die Wohnung,“ klagte Luna. „Ich bekomme kaum Ruhe.“

„Ruhe ist ein Privileg,“ knurrte Schröder. „Und sie wird mit den Jahren wichtiger als jedes Spielzeug.“

Minka streckte sich und ließ ihren Blick prüfend über den Hof wandern. Warm, vertraut, sicher. Doch dann blieb ihr Blick an etwas hängen: an der Mauer gegenüber, wo Kratzspuren verliefen – zu sauber, zu gerade für die üblichen Revierzeichen. Drei Striche, ein Haken, Punkte.

„Hab ich letzte Nacht gesehen,“ sagte Schröder, der neben ihr gelandet war. „Nicht von hier.“

„Vielleicht Kunst?“ fragte Luna.

„Felllosen-Kunst riecht nach Farbe,“ knurrte Rufus. „Das hier riecht nach Absicht.“

„Und was bedeutet es?“ Minka neigte den Kopf.

„‚Seid wach‘,“ sagte eine neue Stimme.

Die Katzen fuhren herum. Auf dem Mauersims saß eine Fremde – getigert, mit Streifen so exakt, als wären sie mit Lineal gezogen. Augen wie stilles Wasser, kein Halsband, keine Unsicherheit.

„Wer bist du?“ fragte Schröder, sein Schwanz straff wie ein Fragezeichen.

„Fauja,“ sagte sie schlicht. „Ich lese Zeichen. Und ich erinnere daran, wach zu bleiben.“

„Wir sind Katzen,“ entgegnete Minka. „Wach ist unser zweiter Name.“

„Euer erster ist Bequem,“ erwiderte Fauja leise. „Und Bequem ist gefährlich, wenn Schritte lauter werden.“

Rufus schnaubte. „Klingt nach Ärger.“

„Klingt nach Abenteuer!“ rief Luna begeistert.

„Klingt nach beidem,“ brummte Schröder.

Fauja blieb still. Ihr Blick ruhte auf den Kratzzeichen, als würden sie sprechen. Minka folgte ihrem Blick und spürte, wie der Hof sich anders anfühlte – nicht unsicher, aber größer, als er eben noch gewesen war.

Über den Dächern kreischte ein Rabe, drehte eine Zickzacklinie und verschwand.

Minka dachte: Ich kann beides. Bequem sein. Und wach.